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„Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ – Warum Sie das Buch von Alena Schröder lesen sollten

Erstellt:

Von: Carina Blumenroth

Teile der deutschen Geschichte, verpackt in den Sichtweisen und Lebensrealitäten vier verschiedener Frauen. Ein emotionales Buch, das zum Nachdenken anregt.

Die historische Geschichte Deutschlands: Von Weltkriegen über den Nationalsozialismus und die Verfolgung und Ermordung jüdischer Menschen – mittendrin die Geschichte von vier Frauen, deren Leben unterschiedlicher nicht sein könnte. Allerdings lassen sich zwischen Arbeitsleben, Mutterschaft und der Rolle der Frau Parallelen zwischen den Protagonistinnen ziehen.

„Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“: Leben und Familiengeschichten

Jüdisches Denkmal und Buch.
Der Debütroman von Alena Schröder ist im Januar 2021 erschienen. Vor einem Monat kündigte Alena Schröder auf Instagram an, dass es das Buch auch in einer tschechischen Ausgabe gibt. (Montage) © photothek/Imago/dtv

Familiengeschichten können spannend sein, gerade bei der deutschen Geschichte. Großeltern oder Urgroßeltern könnten die letzten Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sein. Aber abgesehen davon: Wie war das Leben eigentlich damals? Wie die Rolle der Frauen und Mütter? Und wie hat sich das geändert? Dazu spielt der Umgang mit Kunstraub und die wissenschaftliche Arbeit im Roman eine Rolle. Eine Geschichte, die nach dem Ersten Weltkrieg beginnt, bis ins Jahr 1950 die deutsche Geschichte beschreibt und noch viel weiter darüber hinausgeht.

In Berlin tobt das Leben, nur die 27-jährige Hannah spürt, dass ihres noch nicht angefangen hat. Ihre Großmutter Evelyn hingegen kann nach beinahe hundert Jahren das Ende kaum erwarten. Ein Brief aus Israel verändert alles: Evelyn soll die Erbin eines geraubten und verschollenen Kunstvermögens sein. Warum weiß Hannah nichts von der jüdischen Familie? Und weshalb weigert Evelyn sich, über die Vergangenheit zu sprechen? Hannahs Suche nach der Wahrheit führt sie zurück in die 20er Jahre, zu einem eigensinnigen Mädchen namens Senta …

Klappentext / dtv Verlag

Stück für Stück wird die eigentliche Familiengeschichte rund um Hannahs Vorfahren aufgedeckt. Ihre Großmutter Evelyn ist dabei anfangs keine große Hilfe. Dennoch taucht Hannah in die Lebensgeschichte ihrer Urgroßmutter Senta ein, lernt die Geschichte ihrer Großmutter kennen und schafft es auch dadurch ihr eigenes Leben auf die Reihe zu kriegen. Der Plan? Eine Promotion im Bereich Germanistik – Medizinerin Evelyn ist davon nicht begeistert, merkt aber, dass Hannah etwas tun sollte: „Sterben ist schwer, Hannah. Leben ist nicht mal halb so schwer. Und jetzt musst du mal langsam damit anfangen.“

Sie wollen sich lieber mit Ihrer eigenen Mental Health beschäftigen? Auch dabei können Sie von Büchern unterstützt werden.

Alena Schröder „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“: Protagonistinnen

Krieg, Verfolgung und Ermordung jüdischer Menschen, Kunstraub und Wiedergutmachung – ernste Themen, die Alena Schröder in einem Roman über die Geschichte und Lebensumstände von vier Frauen verpackt. Die Figuren hat Schröder mit Liebe zu Detail und Präzision gezeichnet – nahbar, emotional, nachdenklich. Schröder hat es geschafft, dass Leserinnen und Leser mitfiebern, Reue und Sympathie oder Antipathie empfinden können. Vor allem hat sie Frauen gezeichnet, die versuchen, das Leben so zu führen, wie sie es möchten, abseits gesellschaftlicher Erwartungen. Sei es Senta, die nicht mit der Mutterrolle warm wurde und im Nationalsozialismus mit ihrem Mann, einem Juden, zu überleben versuchte. Evelyn, die bei ihrer Trude aufwuchs, die sicherer Hafen und gleichzeitig Sympathisantin Hitlers war. Auch Evelyn hat ihre Mutterrolle ohne Arbeit nicht annehmen können, machte schließlich trotz oder gerade wegen ihrer Tochter Silvia als Ärztin Karriere. Schließlich wäre da Hannah, 27 Jahre alt: ihre Doktorarbeit im literarischen Bereich stockt, sie hadert mit sich, ihrer Familiengeschichte und ihrem Lebensweg und scheint sich erst durch die Aufarbeitung der familiären Vergangenheit zu finden.

Auch die Nebenfiguren, wie Trude oder der ehemalige Kommilitone Jörg, sind mit Liebe ausgestaltet und zerren zum Teil sehr deutlich an den Nerven von Leserinnen und Leser. Sei es Trude, die zum Teil eine naive Grundhaltung und ein verzerrtes Bild von Liebe hat oder Jörg, der sehr von sich selbst und seiner Arbeit überzeugt ist und dabei kaum auf Verluste Rücksicht nimmt.

Das Fazit: „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“

Ein kluges, zum Nachdenken anregendes Buch, das einen hadern und zweifeln lässt, allerdings auch Erkenntnis liefert und glücklich macht. Die Verwebungen zwischen der historischen Geschichte, der Familiengeschichte von Senta, Evelyn und Hannah sind so detailreich und fesselnd, dass man das Buch als kurzweilig empfindet.

Die Rolle der Frau und die Eigensinnigkeit der Protagonisten sind sehr nahbar beschrieben, sodass ich mich, obwohl ich nicht in dieser Situation befinde, wiedergefunden habe.

Carina Blumenroth

Ebenso ist der Schreibstil ansprechend – ausführlich, mit Charme und Ironie – die Leserinnen und Leser werden in die Gedanken der Protagonisten mitgenommen. Alena Schröder verpackt inhaltlich schwere Kost so, dass Leserinnen und Leser peu à peu mitgenommen werden und schrittweise lernen.

Für wen ist der Roman etwas?

Das Buch ist etwas für alle, die keine Angst vor großen Familiengeschichten haben und einen Blick in die Vergangenheit wagen möchten, die sich bis in die Gegenwart verwebt. Historisch Belesene oder Unbelesene können sich diesem Buch widmen, allerdings sollten sie keine Scheu vor dem Leid haben, welches Personen zu Kriegszeiten und Zeiten des Nationalsozialismus durchlebten. Sollten Sie mehr darüber erfahren wollen und auch offen für den Zwiespalt von Mutterschaft und dem Berufsleben sein, können Sie zu dem Buch greifen. Das Buch kann auch Verständnis in der eigenen Mutter-Tochter-Rollenkonstruktion schaffen.

Sie möchten eher ein Sachbuch lesen? Dann ist vielleicht „Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?“ von Sara Weber etwas für Sie.

Alena Schröder: „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“

2021, dtv, ISBN: 978-3-423-28273-4

Preis: Taschenbuch 11,95 Euro, Hardcover 22,00 Euro, E-Book 9,99 Euro, Seitenanzahl: 368 (mögliche Unterschiede je nach Format)

Alena Schröder

Alena Schröder wurde 1979 geboren und arbeitet als Autorin und freie Journalistin in Berlin. Studiert hat sie Geschichte, Politikwissenschaften und Lateinamerikanistik. Ihr journalistisches Handwerk lernte sie an der Henri-Nannen-Schule in Hamburg. Ende Januar teilte sie auf Instagram, dass ihr Debütroman „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ übersetzt wurde. Das Buch sei nun auf Tschechisch erhältlich. Dazu schrieb sie: „Übersetzt zu werden, ist einfach der absolute Oberhammer ...“

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